Einführung: Problemstellung und Überblick

Dasvorliegende Lehrbuch versucht, auf konsequente Weise die seit 1999 beobachtbaren Neuerungen auf dem Gebiet der europäischen Geldpolitik herauszuarbeiten und mit traditionellen Einsichten zu kombinieren. So erfolgt die Diskussion der angemessenen geldpolitischen Strategie und des monetären Transmissionsprozesses vor dem Hintergrund bekannter Alternativen, aber unter Berücksichtigung der veränderten Rahmenbedingungen. Notwendigerweise erfordert die Darstellung des neuen geldpolitischen Regimes einige spekulative Aussagen, die sich normalerweise nicht in einem Lehrbuch finden, da die Erfahrungen mit der Geldpolitik des Eurosystems immer noch zu kurz sind, um von einer hinreichenden empirischen Basis sprechen zu können.

Kapitel I liefert zunächst einen Überblick über den „Weg zur Währungsunion“. Sodann wird dargelegt, warum die Währungsunion zunächst mit 11 Ländern begann. In diesem Zusammenhang muss auch näher auf die Beitrittsbedingungen, die sog. Konvergenzkriterien und ihre bisherige „Umsetzung“ in Rahmen der bereits erfolgten Konvergenzprüfungen eingegangen werden. Der bisherige „Umgang“ mit den Konvergenzkriterien kann nämlich bei der Beurteilung der Beitrittsreife der neuen EU-Länder in Zukunft nicht ganz außen vor bleiben. Vor dem Hintergrund der EU-Erweiterung wird diskutiert, inwieweit die Erfüllung der Konvergenzkriterien eine ernste Hürde für den Beitritt der neuen EU-Länder zur Währungsunion darstellt und inwieweit ein möglichst frühzeitiger Beitritt dieser Länder zur EWU wünschenswert ist. In diesem Zusammenhang wird insbesondere die mit dem Balassa-Samuelson-Effekt verbundene Problematik und die möglicherweise mit einem Betritt zum Wechselkursmechanismus II verbundene Gefahr „spekulativer Attacken“ erörtert.

Kapitel II behandelt zunächst den institutionellen Rahmen, in dem die einheitliche Geldpolitik operiert. Alles erstes wird der Frage nachgegangen, weshalb es staatlicher Zentralbanken bedarf. Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen aber der Aufbau und die Aufgaben des Eurosystems sowie die Analyse des Unabhängigkeitsaspektes. Wir haben uns dabei bemüht, die für die Frage der Erwartungsbildung entscheidenden institutionellen Merkmale vor allem auch im Vergleich zum US-amerikanischen Federal Reserve System klar herauszuarbeiten.

Vor dem Hintergrund verschiedener Ebenen der Geldpolitik werden im ersten Abschnitt von Kapitel III geldpolitische Strategien und deren Adäquanz für das Eurosystem diskutiert. Unter einer geldpolitischen Strategie versteht man das konzeptionelle Grundgerüst der Geldpolitik zur Erreichung der jeweiligen Ziele. Neben traditionellen Zwischenzielstrategien wie etwa die Orientierung an der Geldmengenentwicklung werden beispielsweise auch die Strategie direkter Inflationssteuerung und ein sog. Multi-Indikatoren-Ansatz nach dem Vorbild des Federal Reserve Systems analysiert. Und letztlich erfolgt eine Analyse der vom Eurosystem eingeschlagenen Zwei-Säulen-Strategie vor dem Hintergrund der Argumente für oder gegen die verschiedenen Alternativen und der spezifischen Bedingungen in der EWU.

Abschnitt 3 setzt sich mit dem geldpolitischen Instrumentarium des Eurosystems auseinander. Damit eine Zentralbank den Tagesgeldsatz kontrollieren kann, muss eine ausreichende Nachfrage nach Guthaben bei der Zentralbank bestehen. Diese Nachfrage kann entweder durch eine mindestreservebedingte Zwangsnachfrage oder/und durch eine freiwillige Nachfrage für Zwecke des Zahlungsverkehrs (Balances) erzeugt werden. Im Eurosystem bindet die Mindestreserve. Die Mindestreserve stabilisiert zum anderen  durch ihre  Ausgestaltung den Tagesgeldsatz. Im Rahmen der Refinanzierung der Kreditinstitute beim Eurosystem kommt dem wöchentlich abgeschlossenen Hauptrefinanzierungsgeschäft dominierende Bedeutung zu. Flankierend wirken die Ständigen Fazilitäten, also die Spitzenrefinanzierungs- und die Einlagefazilität. Die einzelnen Instrumente werden charakterisiert, und ihre Wirkungsweise wird anhand der Konsolidierten Bilanz, dem „Ausweis“ des Eurosystems, herausgearbeitet.

Das entscheidende Operationsfeld der Geldpolitik ist der Geldmarkt. Der Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft stellt hier den Leitzinssatz für den Zins für Tagesgeld dar. Als Monopolanbieter von Zentralbankgeld kann das Eurosystem entweder den Preis (Zins) oder die Menge (Geldbasis) steuern, wobei das Eurosystem - wie weltweit alle maßgebenden Zentralbanken - am Preis (Tagesgeldzins) ansetzt. Die Geldbasis ist also – im Gegensatz zu häufig in der Literatur vorfindbaren Darstellungen - eine endogene Größe. Vor dem Hintergrund der „Endogenität des Geldes“ wird die Vorteilhaftigkeit einer solchen Preis(Zins-)steuerung heraus gearbeitet und die Art und Weise wie diese technisch umgesetzt wird aufgezeigt. Der Tagesgeldsatz, der im Konzept des Eurosystems als operatives Ziel fungiert, stellt dann den Ausgangspunkt für den monetären Transmissionsprozess dar.

Gegenstand dieses Transmissionsprozesses ist, wie die geldpolitischen Impulse von einer Änderung der Notenbankzinsen zu den gesamtwirtschaftlichen Endzielen übertragen werden. Er wird im vierten Kapitel behandelt. Dabei muss vor allem auf die Frage eingegangen werden, welche - unter Umständen unterschiedlichen - nationalen Effekte eine einheitliche Geldpolitik auslöst und welche Übertragungskanäle in der Währungsunion eine stärkere bzw. schwächere Bedeutung haben werden. So leuchtet es unmittelbar ein, dass Wechselkursänderungen aufgrund des geringen Offenheitsgrades des Euro-Währungsgebietes nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Auf der anderen Seite gibt es einige Argumente für eine zunehmende Relevanz eines erwartungsinduzierten Transmissionsprozesses und für eine mögliche Neueinschätzung des Kreditkanals. Darüber hinaus wird die Rolle von Unsicherheit und Transparenz thematisiert. Neben der theoretischen Diskussion wird auch der mittlerweile recht umfangreichen empirischen Literatur zum monetären Transmissionsprozess Rechnung getragen.

Schließlich ist Kapitel V möglichen Störpotenzialen für die einheitliche Geldpolitik des Eurosystems gewidmet. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen Geld- und Finanzpolitik. Dabei werden die theoretischen Zusammenhänge vor dem Hintergrund der Vorschriften des EG-Vertrages und des Stabilitäts- und Wachstumspaktes diskutiert. Diese versuchen, das traditionelle Konfliktpotenzial zu entschärfen. Nichtsdestotrotz verbleiben Probleme unkoordinierter Geld- und Fiskalpolitiken, die letztlich in den Anreizen bestehen, sich der Staatsschuldlast durch Inflationierung zu entledigen. Dieser Teil ist aufgrund der Diskussion der letzten Jahre und des Stellenwerts, den die Haushaltspolitik im Maastricht-Vertrag einnimmt, am ausführlichsten gehalten.

Des Weiteren muss auch die ebenfalls in nationalen Händen verbleibende Lohnpolitik die durch die Währungsunion veränderten Bedingungen beachten (Abschnitt 2). Tut sie dies nicht, sind von dieser Seite ebenfalls Probleme für die einheitliche Geldpolitik vorherbestimmt. Durch die einheitliche Geldpolitik und die gemeinsame Währung besteht keine Möglichkeit mehr, sich durch nationale Geldpolitik oder durch Abwertungen innerhalb des EWU-Raumes einen nationalen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Dementsprechend kommt der Berücksichtigung der jeweiligen Produktivitätsentwicklung bei den Lohnverhandlungen für die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, speziell den weiteren Fortgang der Arbeitslosigkeit, verstärkte Bedeutung zu. Sollte es nicht gelingen, die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, könnte von dieser Seite das Projekt Währungsunion zunehmend unter Druck geraten und die Forderung nach nationalen und/oder supranationalen (von Seiten der EU) Transferleistungen verstärkt erhoben werden. Bei einer raschen EWU-Erweiterung durch vergleichsweise Niedriglohn-Ökonomien könnte dieser Druck zunehmen.

Als letzter Problembereich ist auf die Interaktion zwischen Geld- und Wechselkurspolitik einzugehen (Abschnitt 3). Letztere liegt in Händen des Ecofin-Rates, an dessen Vorgaben sich das Eurosystem zu orientieren hat. Sollte dieser über ein Wechselkurssystem einen förmlichen Beschluss fassen oder Wechselkurszielzonen einführen, dürfte eine stabilitätsorientierte Geldpolitik über die dadurch ausgelösten Devisenmarktinterventionen in Schwierigkeiten kommen. Diese Problematik wurde bei der Gestaltung der Wechselkursbeziehungen zwischen den Euro-Ländern und den nicht an der EWU teilnehmenden EU-Ländern, dem sog. WKM II (EWS II), von vorneherein entschärft.

Die getroffene inhaltliche Auswahl deckt unseres Erachtens den Kernbereich der Europäischen Geldpolitik ab. Bei einem Lehrbuch, das ein Projekt zum Thema hat, das noch keine lange Historie aufweist und von einer dynamischen Entwicklung gekennzeichnet ist, besteht automatisch die Gefahr, dass man von den aktuellen Ereignissen „überholt“ wird. Deshalb ist das Buch in Teilbereichen zwangsläufig auch auf plausible Mutmaßungen angewiesen. Auf der anderen Seite haben wir versucht, über die Angabe einiger Internet-Seiten dem Leser die Möglichkeit zu bieten, sich aktuell über die Währungsunion und den € zu informieren.

Jeder Abschnitt endet mit Übungsaufgaben zum Text, deren Beantwortung am Ende des Buches erfolgt, und einer kommentierten weiterführenden Literaturliste zu ausgewählten Aspekten. Am Ende des Buches haben wir zusätzlich noch ein ausführliches Literaturverzeichnis aufgenommen. Um dem interessierten Leser die Literaturbeschaffung zu erleichtern, verweisen wir dabei - wenn möglich - auf Internet-Adressen, unter denen die angegebenen Quellen abgerufen werden können. Ebenfalls aus didaktischen Gründen haben wir versucht, den Text nicht zu überfrachten, damit der „rote Faden“ nicht verloren geht. So finden sich in den einzelnen Kapiteln mehrere Boxen, die einen Begriff näher erklären, einen Gedankengang vertiefen oder auch ein spezielles Problem ausführlicher ausleuchten. Daneben haben wir uns zum Ziel gesetzt, theoretische Aussagen mit aktuellen Entwicklungen und Daten zu kombinieren. Dies spiegelt sich in einer Vielzahl von empirisch orientierten Schaubildern und Tabellen wider. Ein Glossarium wichtiger geldpolitischer Begriffe rundet das Buch in didaktischer Hinsicht ab.